AUF UND UNTER DER OBERFLÄCHE

Von Farbstrichen und Schattenfugen
19.09. bis 24.10.2010

Gisela Friederike Zienicke
Zeichnungen und Malerei, Ölpastell
Noa Lühmann
Öl und Mischtechnik auf Papier und Leinwand
 

Prasselnde Trommelfeuer kraftvoll gesetzter, kunterbunter Striche, die sich hier und da zu einem Gegenstand, etwa zu einem Stuhl, einem Speiseteller mit Spaghetti oder zu einer Senftube verdichten und das jeweilige Motiv zugleich derart überwuchern, dass es bisweilen nur noch zu erahnen ist. Auf der anderen Seite: Schemen aufrecht stehender, steil emporragender Menschengestalten mit erdiger, ruhiger Farbigkeit, Paare, die offenbar kommunikations- und beziehungslos nebeneinander erstarrt aufgereiht sind; und schließlich haarfein skizzierte Kuben, die sich in zarter Monochromie zu menschlichen Anatomien addieren.

So in etwa sehen die Themenfelder von Gisela Friederike Zienicke (Jahrgang ’44) aus. Mit etwa 30 Papierarbeiten silhouettiert die HLP Galerie einen Querschnitt des zeichnerischen Schaffens der in Bonn lebenden Künstlerin (Jahrgang 1944). Ihre  akademische Ausbildung in Malerei, Grafik und Germanistik (60er Jahre) bildet den Humus für die in den achtziger Jahren erfolgende Etablierung als freischaffende Künstlerin. Frappierend erscheint vornehmlich das souveräne, espritstarke Spiel auf den Klaviaturen des Zeichnens. Seit nunmehr drei Dekaden dominiert im ohnehin ökonomischen Materialhaushalt das Instrument oder der Werkstoff Ölpastell.

Zu den Insignien und Schwerpunkten der hieraus erwachsenden Papierarbeiten zählen: ein unmittelbarer Strichduktus, Spannungen zwischen begrenzenden Formen und deren Auflösungsmodalitäten, nicht selten bis über die geographischen Grenzen des Materialträgers Papier hinaus. Weiter bewegen sich die, vielfach Alltag und Gesellschaft auslotenden, Diskurse zwischen Abstraktionen und expressiven Verdichtungen oder ästhetischen Verfremdungen, die wiederum zurück zu neuen, überraschenden Konkretisierungen führen. Und je nach der Intensität oder Akzentuierung von Schraffuren, Linien oder Farbflächen lassen sich die Kompositionen in die Nähe von Malerei oder Zeichnung rücken.

Die seit Jahrzehnten in Köln ansässige Noa Lühmann (Jahrgang ’43) setzte sich nach ihrem Studium der Malerei an den Kölner Werkschulen mit den unterschiedlichsten Materialien und Techniken auseinander, bevor sie sich, - übrigens ebenfalls um das Jahr 1980 herum - exklusiv der Malerei verschrieb. Eine Entscheidung, die mitnichten ihre Neugier, Passion, ihr Interesse sowie ihren experimentellen Pioniergeist in punkto Ausreizen von Materialpotentialen vertrieb.

Ihre Schlüsselmaxime lautet: ”... Was mich interessiert, ist die Physikalität meines Materials: die der Farben und ihren Möglichkeiten. Mein Prozess besteht aus Zerstörung und Aufbau (...). Meine Bilder entstehen durch zahllose Schichten, Überschichtungen und Ausgrabungen. Meine Aufgabe ist es, das Bild in der Farbe zu finden, es freizulegen. Ich warte auf den Augenblick, wo das Unbekannte sichtbar wird.“ 1

Lühmann ist somit nach Manfred Nipp, Herbert Linden und Helmut Brandt die vierte unter den von der HLP Galerie ausgestellten Künstlern, deren Arbeiten das Etikett ‚prozessbetont’ kennzeichnet. Sehr eigen oder buchstäblich eigentümlich an ihren überwiegend großformatigen Leinwandarbeiten ist ein Silberglanz, dessen Spektrum etwa von licht über mausgrau bis fast schwarz reicht. Selbst tiefdunkle Auszüge dieser Arbeiten sind rot oder gelb grundiert. Auf den Fonds stapeln sich dann Farbschichten, die mit Pinsel, Spachtel oder den bloßen Händen auftragen werden; etliche Farbdecken werden sodann durch Schaben oder Kratzen aufgebrochen, ausgehöhlt, abgewaschen oder poliert, alsdann mit Spachtel oder Pinsel erneut gekittet. Derlei Operationen wiederholt die Künstlerin mehrfach, bis sie mit ihrem Werk - das sie von sämtlichen Seiten im Licht zu prüfen pflegt - zufrieden ist.
Die finalen Oberflächen zeitigen durchweg sichtbare Spuren von komplexen Destruktions- und Sanierungsaktionen; durchschimmernde Partikel und Passagen darunter liegender Schichten paaren sich mit minimalistischen Ritzungen, robusten Kerben ebenso wie mit schroffen Narben, matten Schattengebilden, lebhaften Schraffuren. Hinter den sich verdichtenden, mit Suggestionen von Phantomen behafteten Partituren lauert bisweilen - ähnlich wie bei Gisela F. Zienicke - das ”Unsichtbare”, nicht selten in der Anmutung von Tierwesen. Ein Werk, möglicherweise eine Schlüsselkomposition, das ein liegendes kleines Mädchen oder eine Puppe gemeinsam mit einem Hasen zeigt, wirkt wie ein abgründiges Märchen, wie ein entlarvendes Traumgesicht. Weitere, mit Tiermotiven (Hund, Insekt, Hase) bevölkerte Bildwelten projizieren allein schwarze Schatten oder bedrohliche Raster in einer meist bleigrauen Umgebung.

Unbunt geht es überwiegend auch in Lühmanns konsequent abstrakten Papierarbeiten zu; und auch hier kristallisiert sich ein Prozeßcharakter heraus, der - markanter als bei Leinwandentwürfen - auf Austesten des Zusammenwirkens unterschiedlicher Materialien basiert.

Hier wie dort bilden persönliche Begegnungen mit der Natur, Strukturen, die Makro- und Mikrokosmos offenbaren, zentrale Impulse für genuine Bildfindungen.
Wenn es überhaupt farbiger zugeht, dann sind es Gelb- oder Grünnuancen, versetzt mit Schwarz, oder Allianzen zwischen schrillem Gelb und lautem Pink. Omnipräsent ist jedoch Grau, Grau in allen Schattierungen und Wertigkeiten, sachte liiert mit helllichtem Gelb, mit Grün, manchmal mit Blau.

In der etwa 35 Werke umfassenden Ausstellung ist es ein einziges, sonnenblumengelbes kleinformatiges Gemälde, das tatsächlich heiter wirkt ... oder gar ein auratisches Spiel mit dem Topos Heiterkeit anzettelt?

 

1 zitiert von Doris Hensch in ihrer Einführungsrede zur Ausstellungseröffnung im Gustav-Heinemannhaus, Bonn, am 8.06.2005

 

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