L I N I E N S P I E L E –
Raum für Gesten und Zeichen

27.6. bis 1.8.2010


Emil Sorge
Malerei auf Leinwand, Holzreliefs und -skulpturen
Helmut Brandt
prozessbetonte Malerei, Acryl auf Leinwand und Papier
Karin Kahlhofer
Skulpturen aus Kupferblech und -draht

 

„Dreimal ist schon Tradition“, pflegt man zu sagen, und so ist auch die vierte Ausstellung der HLP Galerie ein lebendiger Dialog zwischen den in ungewohnter Nachbarschaft präsentierten Arbeiten von drei KünstlerInnen, der überraschend klar Unterschiede und Gemeinsamkeiten sprechen lässt.

Der Stolberger Künstler Emil Sorge ist von dem dort gut vertretenen Informel (z. B. Fred Dahmen, Hanns Pastor, Fritz Martin) genauso geprägt wie von dem abstrakten Expressionismus. Als „Grenzgänger zwischen Tradition und Revolte“1 (später Beuys) studierte er in den späten 70ern an der Düsseldorfer Akademie. Er greift zu Stemmeisen, Kettensäge und Sichel, doch beschäftigt er sich - anders als die Expressionisten – nicht mit den Abdrücken auf Papier, sondern vorrangig mit den Platten der Holzschnitttechnik und schafft „Platten als beschnitzte und kolorierte Bildtafeln.“2. Die Holzreliefs nutzt er aber auch wieder als Druckstöcke für Abdrücke auf Leinwand und Jute oder für seine vollplastischen, in gleicher Manier bearbeiteten Skulpturen. Sorge schnitzt seine Bilder unter der Oberfläche, bis sich die eingeschnittenen Reliefstrukturen – an Runen und Hieroglyphen erinnernde Zeichen - samt ihren Freiräumen zu einem mehrschichtigen Bild addieren. Zwischen Kalkül und Spontaneität entwickelt er um das Jahr ’86 herum ein lebhaftes Linienspiel auf einer geometrisch geordneten, geplanten Grundfläche oder bedient sich allein spontanen Bewegungen des Pinsels und des Zufalls: Ein eigener Stil, der an eingeschnittenen, gemalten und abgedruckten Formen, Zeichen und Ornamenten zu erkennen ist, zwischen Abstraktion und Figuralem oszilliert und ausgesprochen assoziationsträchtig ist. Die geheimnisvolle Zeichenhaftigkeit lässt einen übergeordneten, archaisch-mythischen Bedeutungszusammenhang anklingen.

Helmut Brandt beschäftigt sich in seinen durchgehend ungegenständlich Acryl-Arbeiten auf Leinwand und Papier mit Flächen: ”Flächen verschließen, versiegeln, schützen. Sie trennen ein Inneres von einem Außen. Ihr Ideal ist Glätte und Reinheit ... 3 ”Doch es gibt sie nicht, die unberührte glatte Fläche. Von ihrem Material ist sie porös und rau, und sie ist rissig und brüchig, weil sich die Zeit immer schon in sie eingeschrieben hat“.4

Der 1943 geborene Wahlkölner Helmut Brandt trägt in einem mittelalterlichen Guazzo-Verfahren wässrig gelöste Pigmente in vielen transparenten Lagen immer wieder auf. Der Betrachter versucht die Botschaften der Spuren zu entschlüsseln, die einzelne Schichten im Prozess der Überlagerung und Begegnung unterschiedlicher Materialien auf deren Oberfläche hinterlassen. Doch zu entdecken gibt es „nur“ die Genese ihrer Entstehung. Brandts Klassifizierung ‚prozessbetont’ gibt zu erkennen, dass er sich der geplanten und analytischen Malerei der siebziger Jahre zugehörig fühlt. Die Oberflächen sind zum einen finale Ergebnisse der Reaktionen, jedoch kehren sich die Dinge dann in einem bestimmten Stadium des künstlerischen Prozesses um: Durch Abreiben, Auskratzen oder Schaben werden die Schichten zum Teil wieder abgetragen, darunter gelegene Oberflächen aufdeckt, auf die zeitliche Komponente des Prozesses, die Vergänglichkeit, Verletzbarkeit und Brüchigkeit von Kommunikation und letztendlich menschlicher Existenz schlechthin verwiesen. Seine skripturalen Bilder, seine kryptisch anmutenden Zeichenlandschaften, entstehen primär aus der Geste des Schreibens – dem Linienspiel und den Zeichen in der Malerei Emil Sorges ähnlich. Wie bei wieder beschriebenen Palimpsesten fordern lediglich erahnbare Restlinien der vorausgegangenen Schichten zum Dechiffrieren auf und geben doch nur die Geste des Schreibakts wieder.

Karin Kahlhofer lässt Ende der 80er durch ”Resteverwertung“ - Verändern und Überarbeiten von bereits von ihr erstellten Bildcollagen - ebenfalls prozesshafte Bilder entstehen. Wie bei Helmut Brandt sind die aufgerauhten Oberflächen von „Schrunden und Narben”5 und weiteren Verletzungen gezeichnet. Ihre Bildsprache hat wie bei Sorge eine archaische oder kultische Komponente, zeigt sich gestisch, weist Spuren von Kalkül und Spontanität auf. Ihre 1990 im Kunstverein Konstanz  ausgestellten ”Menschenformen” etwa sind in die Länge gezogene Figuren, die ”in einem Umfeld voller Straffuren, vitaler Kleinzeichen” 6 und ”kalligraphischer Winzigkeiten“7 gestellt sind. Von Anbeginn kreist sie in ihrer Malerei, ihren Performances und ihrem bildhauerischen Werk immer wieder um die existentiellen Fragen von Zeit und Raum und die Beziehung des Menschen zu diesen beiden Größen.

Ihre Raumbilder der 80er Jahre, ihre Figuren im Raum, die „Dreiecke“ als Sinnbild dieser Trinität und ihre so genannten Ikarusbilder basieren noch auf einem physikalischen Weltbild: Die menschliche Figur definiert und bestimmt den Bildraum, Raum und Zeit bedingt menschliches Handeln und ist zugleich Resultat von diesem. Etwa zu Beginn der 90er nimmt sie verstärkt Fragestellungen hinzu, die in fernöstlichen Kulturen seit Jahrhunderten zuhause sind: Der in Zeit und Raum befangene, endliche Mensch, der als ein Element der Natur am Prinzip des Unendlichen und Zeitlosen Teil hat. Auf die conditia humana verweisen das Aufrechte der gelängten, kargen und kahlen Gestalten, die bar jeder Individualität und Kategorie keinerlei Persönlichkeitsmerkmale aufweisen. Sie lassen sich als Zeichen und Chiffren einem Prototyp einer bestimmten Zeit, einer bestimmten Kultur zuordnen und z. B. als ”Etrusker“ ”Höfling“ kategorisieren, was in dem verwendeten Material, dem seit alters her verwendetem Kupferblech und Kupferdraht Unterstützung findet. Malweise und Technik sind den Vorbildern der sechziger Jahren an der Düsseldorfer Kunstakademie verpflichtet: Dem informellen Maler Karl Otto Götz sowie Joseph Beuys, dessen Meisterschülerin sie war. Karin Kahlhofer verbindet dies nunmehr mit dem Geist des Zen und bedient sich seiner Methoden zum Erkenntnisgewinn.

Die in der HLP Galerie ausgestellten Arbeiten der drei kurz vorgestellten KünstlerInnen zeigen im Dialog zueinander vielfältige Besonderheiten aber auch eine Gemeinsamkeit: Sie präsentieren Linienspiele - Raum für Gesten und Zeichen!

 

1 Wolfgang Becker, „Ein Grenzgänger“,Beitrag im Katalog „Einschnitte – Bilder und Skulpturen aus 20 Jahren“, Hrsg. Joachim Melchers, Mönchengladbach 2006, S.1
2 id. S. 2
3 Manfred Köhler in: Helmut Brandt, Arbeiten 2006-2007, Katalog zur Ausstellung im August 2007, Museum Zündorfer Wehrturm
4 id.
5 Jörg Loskill, ”Spontanität und Kontrolle“, in: Karin Kahlhofer, Menschenformen, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Kunstverein Konstanz in 1989, S. 4
6 id.
7 id. S. 5

 

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